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Gemeinsam heißt nicht keiner. Es heißt jeder!

Sie sind engagierte Expertinnen und Experten für Klimaschutz und Energiewende in Lübeck: Sophia Marie Pott (Fridays for Future), Andrea Witt (Klimaschutzleitstelle Stadt), Reinhard Degener (BUND) und Felix Schulz von Thun (Energie­Cluster). lübsch wollte bei einem Round-Table-Gespräch von ihnen wissen: Wo steht Lübeck in Sachen Nachhaltigkeit? Was läuft gut, wo gibt es Verbesserungsbedarf?

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Frau Pott, in welchen Bereichen muss Lübeck nachhaltiger werden?

Sophia Marie Pott: In vielen. Zum Beispiel bei der Mobilität. Wir fordern eine autofreie Innenstadt. Lübeck wurde vor 875 Jahren gegründet – ohne Autos. Deshalb sind die Straßen dafür nicht ausgelegt. Wir müssen Vorbild werden. Weniger Autos, mehr ÖPNV. Wollen wir bei dem Thema Erster oder Letzter sein?

Wie sehen Planungen der Stadt für den Verkehr aus?

Andrea Witt: Die Verkehrswende ist derzeit unsere größte Herausforderung. Die letzte CO₂-Bilanz von 2015 hat gezeigt: Hier haben wir von 2010 bis 2015 die geringste Entwicklung gemacht. Die Stadtplanung ist deshalb auch schon mit verschiedenen Maßnahmen aktiv. Das Interesse der Bürgerinnen und Bürger an einer klimafreundlichen Mobilität ist definitiv da. Erfolgreiche Projekte wie die Aktion „Stadtradeln“ beweisen das.

Felix Schulz von Thun: Die Digitalisierung kann hier zu einer Verbesserung des Straßenverkehrs beitragen. Das Energie­Cluster Digitales Lübeck arbeitet an Projekten, bei denen vernetzte Sensoren Verkehrsteilnehmern anzeigen, wo es noch freie Parkplätze gibt. Das verringert den Parkplatz-Suchverkehr in der Innenstadt.

Reinhard Degener: Es geht aber nicht nur um den Verkehr in der Stadt, sondern unter anderem um Straßenbau, Flughafenausbau und Hafenentwicklung. Solche „Eingriffsprojekte“ in der Stadt müssen auf den Prüfstand der Nachhaltigkeit und – falls unverzichtbar – umweltverträglicher gestaltet werden.

Lübeck hat den Klimanotstand ausgerufen. Warum?

A. Witt: Weil die bisherigen Klimaaktivitäten zu schwach sind. Wir können das Ziel, klimaneutral zu werden, nicht erreichen, wenn wir in diesem Tempo weitermachen. Wir müssen unsere Anstrengungen verstärken, und die Verwaltung muss stark aktiv werden. Aber auch die Bürgerinnen und Bürger müssen ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten. Geht es darum, Energie einzusparen, sind alle gefragt.

R. Degener: Trotzdem: Die Stadt muss ihre Möglichkeiten voll ausschöpfen. Dazu gehören die Verkehrsentwicklung und die Flächennutzung. Hier müssen die Weichen richtig gestellt werden. Das geht nur, indem man die Planungen überprüft. Sind Zukunftsszenarien der Mobilität und Flächennutzung mit den Klimaschutzzielen vereinbar? Macht man das nicht, ist der Ausruf des Klimanotstandes nur eine Symbolpolitik.

Neben der Verkehrswende ist die Energiewende eine weitere Herkulesaufgabe. Herr Schulz von Thun, ist Lübeck bereit für die Zukunft?

F. Schulz von Thun: Fest steht: Die Energiewende kommt. Damit ist gemeint: die überwiegende Erzeugung von Energie aus erneuerbaren Quellen und eine dezentrale Einspeisung. Wir müssen aber wissen, welche Auswirkungen diese Umstellung auf das Stromnetz in Lübeck hat. Wie ist die zukünftige Belastungssituation, insbesondere auch durch die erstarkende Elektromobilität? Wir installieren Techniken, die uns ein aktuelles Belastungsbild zeigen. Wo gibt es Engpässe, wo ist die Jahreshöchstlast? Es geht um den Aufbau eines intelligenten Verteilnetzes für die Umsetzung der Energiewende. Und da ist Lübeck schon ziemlich weit vorne.

R. Degener: Die Frage ist nur: Welche erneuerbaren Energien nutzen wir? Windenergie ist für Lübeck direkt nicht möglich. Es gibt nur zwei Windräder in Travemünde, aber mehr geht nicht.

S. M. Pott: Das ist sehr traurig.

R. Degener: Ja, aber es gibt nun mal keine Windstandorte. Die Potenziale für Lübeck liegen in der Photovoltaik. Es gibt so viele Dächer, die genutzt werden könnten, da wird sehr viel Fläche verschenkt. Hier müsste die Stadt initiativ werden und Anreize schaffen.

S. M. Pott: Zumindest könnte die Stadt auf den eigenen Gebäuden PV-Anlagen installieren. Das sind ja nicht gerade wenige.

A. Witt: Alle Beteiligten machen sich hier auf den Weg. Manchmal muss über viele kleine Details gesprochen werden. Viele Gebäude stehen unter Denkmalschutz, auch die Statik ist zu berücksichtigen. Es gibt also Hürden beim Ausbau von PV-Anlagen.

R. Degener: Es gibt viele Widerstände. Aber die größten Hindernisse sind im Kopf. Und zwar bei vielen Menschen.

S. M. Pott: Genau. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Wenn die Menschen wollten, wenn die Wirtschaft wollte, dann könnten wir ganz schnell viel erreichen. Die Frage ist nicht, ob wir es machen, sondern wann wir es machen. Man muss den Willen, etwas zu verändern, nur erst einmal in Gang bringen.

Gibt es etwas, was Lübeck jetzt schon gut macht?

F. Schulz von Thun: Lübeck hat ein großes Kreativpotenzial. Von den drei Hochschulen sind zwei Mitglied bei uns im Cluster, und wir sind eng im Austausch miteinander. Wir wollen dieses Kreativpotenzial nutzen, indem wir uns vernetzen und mit Wissenschaft und Wirtschaft gemeinsam Lösungen diskutieren.

A. Witt: Wir können auch als Stadt schon Erfolge vorzeigen. Zum Beispiel mit der Initiative „Fair-Trade-Stadt Lübeck“. Seit 2011 ist Lübeck zertifiziert als Fair-Trade-Stadt und steht wieder vor der Titelerneuerung. Das funktioniert nur mit ehrenamtlichem Engagement und durch Betriebe wie etwa das Café-Mobil hier auf dem Markt. Sie tragen das Thema in die Bevölkerung und machen es sichtbar.

R. Degener: Ein Erfolg, was Klimaschutz und biologische Vielfalt angeht, ist der Stadtwald Lübeck. Das naturnahe Wirtschaftskonzept des Stadtwaldes Lübeck ist international vorbildlich.

Die Fridays-for-Future-Bewegung stellt viele Forderungen an die Politik. Gibt es auch konkrete Verhaltenstipps für jedermann?

S. M. Pott: Ja, natürlich. Zum Beispiel weniger zu fliegen – der größte Punkt. Ich finde es auch wichtig, den Menschen die Relationen näherzubringen. Viele wissen: Plastik ist schlecht, Fleisch essen auch, Fliegen ebenfalls. Aber das Fliegen nimmt weit mehr Einfluss als Plastik. Ich glaube, viele gehen in den Bioladen, um sich ein reines Gewissen zu kaufen, fliegen dann aber anschließend zu ihrem Urlaubsziel. Da fragt man sich schon: Sind denen die Relationen bekannt? Aufklärung ist also weiterhin sehr nötig, um Menschen zum Umweltschutz zu bewegen. Trotzdem ist grundsätzlich jeder Beitrag gut, ich möchte gar nichts schlechtreden.

A. Witt: Wie die eigene CO₂-Bilanz aussieht, kann man im CO₂-Rechner des Umweltbundesamtes prüfen. Man scannt seine Lebensbereiche durch: Mobilität, Ernährung, Energie. Wie oft fliege ich in den Urlaub? Wie viel Fleisch esse ich? Wie beheize ich mein Zuhause? Also Mobilitätsfragen, Ernährungsfragen, Energiefragen, um für sich zu schauen: Wie viel CO₂ erzeuge ich? Der Bundesdurchschnitt liegt bei jährlich 11,2 Tonnen CO₂-Erzeugung – bin ich drüber oder vielleicht sogar schon darunter?

Wo könnte die Stadt noch Ziele erreichen?

S. M. Pott: Stichwort Travemünde, also der Lübecker Hafen, Kreuzfahrtschiffe etc. Da kann man sicher noch viel erreichen. Natürlich ist das auch immer ein Streitpunkt zwischen Wirtschaft und Ökologie.

R. Degener: Bloß kein Kreuzfahrtterminal. Die Kreuzfahrerei ist hochgradig klimaschädlich.

F. Schulz von Thun: Das lässt sich vielleicht abfedern durch Landstromanlagen, wenigstens im Hafen.

R. Degener: Auf jeden Fall, deshalb fordert der BUND auch: Landstromanschluss für jeden Anleger! Eine Sache, die am besten funktioniert, wenn man das mit anderen Ostseestädten gemeinsam macht.

S. M. Pott: Aber gemeinsam heißt nicht „keiner“, es heißt „jeder“! Deshalb bin ich auch kein Fan des Wortes „global“, denn global bedeutet immer „auf die nächste Ebene verschoben“. Dabei drückt global aus: Jeder tut etwas für sich und in seiner Kommune, er verändert etwas in seinem Leben. Es bedeutet aber nicht: Das müssen alle machen, deshalb muss es keiner machen.

R. Degener: Ja, alle sind keiner.

„Auf unserer Agenda stehen ganz klar der Klimaschutz, die Mobilität, Der ÖPNV-Ausbau,
autofreie Innenstadt und die Verbesserung der stadteigenen Gebäude.“

Sophia Marie Pott

„Es gibt viele Widerstände. Aber die größten Hindernisse sind im Kopf. Und zwar bei vielen Menschen.“

Reinhard Degener

„Der EnergieCluster Digitales Lübeck e. V. hat das Ziel, die Hansestadt Lübeck zur Modellregion für eine intelligent vernetzte, nachhaltige Stadt zu entwickeln.“

Felix Schulz von Thun

„Das Interesse der Bürgerinnen und Bürger an einer klimafreundlichen Mobilität ist definitiv da.“

Andrea Witt

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